„Das Neue macht möglich, dass das Alte am Leben bleibt.“
Ein Gespräch mit Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen (H von G) über den Mythos Berlin und den Wandel der Stadt am Beispiel der Opernlofts mit dem Architekten Ingo Pott.
H von G: Der Berlin-Mythos lebt von leerstehenden Industriearchitekturen, die zu Spielwiesen der Kreativszene wurden. Irgendwann waren diese Bauten alle saniert. Die Fabrik, aus der die Opernlofts wurden, war einer der letzten Bauten dieser Art in Berlin-Mitte, und Sie haben Sie entdeckt. Wie war das?
Ingo Pott: Die Opernlofts sind das Ergebnis eines Sonntagsspaziergangs in Berlin-Mitte im Jahr 2010. Ich bin eher zufällig in die Zehdenicker Straße am Weinbergspark gegangen. Diese beeindruckende Industriearchitektur liegt ja versteckt hinter einem unattraktiven 50er-Jahre-Wohnblock. Nach 1945 waren dort die Werkstätten der Komischen Oper untergebracht. Deshalb gab es darin große, teilweise zweigeschossige Atelierräume und Krananlagen, um die fertigen Bühnenbilder in den Hof herunterzulassen. Ich hatte schon immer ein großes Faible für solche Höfe, denn dort spielt sich in Berlin das wahre Leben ab. Insofern erinnerte mich der Ort an die frühen 90er-Jahre, als die Linienstraße noch aussah wie zerbombt und wir noch alle im „Obst und Gemüse“ saßen.
H von G: Warum lag das Gebäude so lange im Dornröschenschlaf?
Ingo Pott: Es war ja ein Fabrikgebäude, in dem lange noch gearbeitet wurde. Ich habe eine Idee für die neue Nutzung entwickelt und die Investoren gefunden.
H von G: Was ist für Sie das Besondere an der Immobilie?
Ingo Pott: Man ist mittendrin im Epizentrum, und doch in einer Oase der Ruhe. Daraus hat sich am Ende auch ergeben, wer in dem Haus lebt. Das sind Menschen, die ein Schutzbedürfnis haben, die bewusst nicht in der ersten Reihe sind und die es lieben, in diesem ruhigen Hofareal zu sein. Das zweite ist der 360-Grad-Panoramablick von den oberen Geschossen über Berlin. Man hat Berlin-Mitte als Kulisse vor sich, und egal, was die Stadt erleben wird, wie sie sich weiter verändern wird, ob die Hochhäuser am Alexanderplatz kommen oder nicht, man wird immer in der ersten Reihe sitzen und dieses Panorama vor sich haben. Wenn man vorne in den Hof hineingeht, rechnet man nicht im Geringsten mit diesem Erlebnis, dass man oben einen Blick hat wie sonst nur vom Reichstag.
H von G: Wie sind Sie gedanklich an das Projekt Opernlofts herangegangen?
Ingo Pott: Mein Ansatz ist immer: Das ist eine Nutzung auf Zeit. Wir bauen ein Haus jetzt vielleicht so um, dass es für die nächsten 50 Jahre einem bestimmten Zweck dient. Aber vielleicht ist es in 50 Jahren wieder ein Industriegebäude. Man sollte nicht denken, dass man derjenige ist, der etwas für die Ewigkeit macht.
H von G: Welche Rolle spielten für die Entwicklung die von Ihnen konzipierten Penthäuser?
Ingo Pott: Sie haben das Projekt – ökonomisch betrachtet – überhaupt möglich gemacht. Es ist ja finanziell ein Riesenaufwand, ein solches Gebäude denkmalgerecht zu sanieren. Daran ist der Voreigentümer gescheitert. Das ist immer das Problem mit alten Häusern: Wenn man mit ihnen behutsam umgeht, kostet das viel Geld. Und dieses Geld muss ich als Bauherr irgendwo wieder herausholen. Oftmals muss man eine Symbiose aus Alt- und Neubauten entwickeln, die es ermöglicht, das Alte zu bewahren und doch Gewinn zu machen. Und so sind die Opernlofts eine Symbiose aus einem Industriegebäude mit Loftwohnungen und zweigeschossigen Penthäusern mit Dachterrassen.
H von G: Und die Denkmalpflege hat dem einfach zugestimmt?
Ingo Pott: Nein, wir hatten durchaus lange Gespräche. Das Landesdenkmalamt ist – nachvollziehbarer Weise – sehr restriktiv geworden. Es ist ein gebranntes Kind: Viele vom Potential wunderschöne Altbauten sind in Berlin in den 90er-Jahren totsaniert worden. Insofern war ich sehr glücklich, dass die Denkmalpflege den Penthäusern zugestimmt und gewürdigt hat, dass das Neue hier das Alte nicht erschlägt. Im Gegenteil: Das Neue macht möglich, dass das Alte am Leben bleibt.
H von G: Die modernen Akzente stehen bewusst sehr kontrapunktisch zum Altbau, oder?
Ingo Pott: Wir haben die Penthäuser als raumschiffartiges Kupferobjekt gestaltet, das mit seinen riesigen Panoramaverglasungen über dem Weinbergspark schwebt. Diese Herangehensweise hat für mich unter anderem ihren Grund darin, dass man es heute ohnehin nicht mehr so bauen kann wie im 19. Jahrhundert. Wenn ich jemanden hätte, der mir wirklich eine preußische Kappendecke in der Qualität des 19. Jahrhunderts einbaut, dann würde ich das in Auftrag geben, weil diese Decken toll sind – sowohl ästhetisch als auch bautechnisch. Aber heute gibt es höchstens Handwerker, die sagen: „Kein Problem, ich komme mit drei Stuckateuren und einer Ladung Gipskarton und ahme das nach.“ Aber das ist genau das Problem unserer Zeit: der Fake. Das ist nicht authentisch. Wenn man etwas im Stil des Alten neu bauen will, dann muss man sehr konsequent sein. Bei der Dresdner Frauenkirche ist es gelungen. Beim Hotel Adlon ist es nicht gelungen.
H von G: Wenn man heute das Gebäude der Opernlofts entdecken würde, was würde vielleicht anders laufen?
Ingo Pott: Damals haben wir das Haus in viele Einheiten zerteilt. Heute ist die Marktsituation in Berlin so, dass man es nicht mehr in relativ kleine Einheiten unterteilen müsste. Und noch etwas ist heute ganz anders: Die Opernlofts wären heute beim Verkauf der Wohnungen sicherlich viel internationaler positioniert. Aber im Grunde glaube ich, dass es heute gar nicht mehr als Wohngebäude entwickelt würde, sondern als Loft-Büro-Gebäude.
H von G: Warum?
Ingo Pott: Weil es baulich einfacher ist. Man hätte die ganzen zusätzlichen Treppen nicht bauen und die Etagen nicht zerteilen müssen. Momentan werden in Berlin zudem händeringend Büroräume gesucht, gerade in den früheren Ost-Bezirken. 80 Prozent unserer Projekte sind Bürobauten. [su_quote cite=“Ingo Pott“]Wohnungsbau findet viel zu wenig statt. [/su_quote] Was man jetzt auch wieder hinterfragen kann: Wie kann das sein? Die Stadt wächst jedes Jahr um 40.000 Menschen. Nur finden die Investoren offenbar, dass es lohnender ist, gewerbliche Bauten zu errichten.
H von G: Wie sehen Sie grundsätzlich die Entwicklung Berlins?
Ingo Pott: Als wir die Opernlofts begonnen haben, war Berlin – ich weiß, der Spruch ist durch – arm, aber sexy. Außer der Fashion Week und der Idee einer Creative City gab es wenig. Viel Herzblut, wenig Substanz. In den letzten fünf Jahren hat sich Berlin sehr verändert, es ist viel Geld in die Stadt gekommen.
H von G: Kann die Stadt sich angesichts dessen so entwickeln, wie sie es müsste?
Ingo Pott: Sicherlich, es ist ja die größte Flächenstadt Europas. In diesem Teppich gibt es noch viele Löcher. Berlin könnte seine Bevölkerung verdoppeln, ohne dass es so eng würde wie in London. Aber in der Realität gibt es zu viele Absurditäten wie den Mehrheitsbeschluss, auf dem Tempelhofer Feld keinerlei Bebauung zuzulassen. Auf der einen Seite mag das nicht unklug sein, es schafft Lebensqualität, aber es bleibt ein urbaner Luxus, der von denjenigen nicht als Problem erkannt wird, die ihrer eigenen Klientel – den Wohnungssuchenden – schaden. Was mir in Berlin derzeit fehlt, sind Foren, in denen über die Zukunft der Stadt diskutiert und Visionen entwickelt werden. Und ein Gefühl, das man die Probleme in der Stadtentwicklung und auf dem Wohnungsmarkt, die ja noch zunehmen werden, gemeinsam anpackt. Stattdessen wird Symbolpolitik gemacht und mit dem Finger auf Einzelne gezeigt. Wir brauchen mehr Dialog.
H von G: Vielen Dank für das Gespräch.